Zweifel an AU-Bescheinigung: So reagieren Arbeitgeber auf Krankschreibungen per Video

Ein Praxisleitfaden zur neuen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie: Erfahren Sie, wann Krankschreibungen per Video oder Telefon einen geringeren Beweiswert haben und wie Sie Missbrauch erkennen.

Die Kosten der Lohnfortzahlung steigen stetig an, und die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AURL) hat die Möglichkeiten zur Krankschreibung über Videosprechstunde und Telefon erweitert. Dies erschwert es Arbeitgebern, den Beweiswert einer AU-Bescheinigung zu beurteilen. Da der Beweiswert einer ordnungsgemäß ausgestellten AU-Bescheinigung nach wie vor hoch ist, ist es für Arbeitgeber essenziell, die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Ausstellung zu kennen und Missbrauch entgegenzuwirken.

I. Die neuen Untersuchungsvarianten und ihre Tücken

Die AURL sieht drei verbindliche Varianten der ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vor:

  1. Unmittelbar persönlich (der Regelfall).
  2. Mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde.
  3. Telefonische Anamnese (die schwächste Form).

Der Arbeitgeber erhält dabei kaum Informationen darüber, auf welcher Grundlage die Krankschreibung erfolgte oder ob der Arzt ausreichende Kenntnis von den tatsächlichen Anforderungen der Tätigkeit des Patienten hatte.

II. Die Ausnahmen und ihr geringerer Beweiswert

Die neuen, niedrigschwelligen Untersuchungsmethoden gehen mit einem geringeren Beweiswert der AU-Bescheinigung einher:

  • Videosprechstunde: Ist nur bei leichter Erkrankung zulässig (Krankschreibung für max. sieben Kalendertage). Bei unbekanntem Patienten ist die erstmalige Krankschreibung sogar auf bis zu drei Kalendertage beschränkt.
  • Telefonische Anamnese: Ist nur bei leichter Erkrankung zulässig (max. fünf Kalendertage) und setzt voraus, dass Arzt und Patient sich persönlich kennen.

Der Arbeitgeber hat keine Handhabe, diese Informationen von der Krankenkasse zu erhalten. Er ist somit auf das Sammeln von Indizien angewiesen.

III. Handlungsmöglichkeiten bei zweifelhafter AU-Bescheinigung

Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer AU-Bescheinigung nur durch das Sammeln von Indizien erschüttern.

1. Gezieltes Gespräch führen

Ein Krankenrückkehrgespräch oder das Betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) kann zur Abklärung genutzt werden. Der Arbeitgeber darf dabei zulässige Fragen stellen, die auf die ordnungsgemäße Feststellung der AU abzielen, z.B.:

  • Kannte der Arzt den Mitarbeiter und hat er nach den Belastungen am Arbeitsplatz gefragt?
  • Wurde eine körperliche Untersuchung durchgeführt?
  • Hat der Arzt über die eingeschränkten Möglichkeiten der Befunderhebung bei Video-/Telefonsprechstunde aufgeklärt?

Wichtig: Die Beantwortung dieser Fragen durch den Arbeitnehmer ist freiwillig. Die Antworten sollten zur Beweissicherung in der Personalakte hinterlegt werden.

2. Missbrauch erkennen und reagieren

Bei einer Anhäufung kurzzeitiger AU-Bescheinigungen sollte die Personalleitung hellhörig werden. Dies kann auf eine missbräuchliche Nutzung der niedrigschwelligen Untersuchungsmethoden hindeuten.

  • Medizinischer Dienst: Bei begründeten Zweifeln kann der Arbeitgeber den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einschalten.
  • Ultima Ratio: Im klaren Missbrauchsfall, etwa bei widersprüchlichem Verhalten des Mitarbeiters, kann die Entgeltfortzahlung einbehalten oder eine (ggf. fristlose) Kündigung ausgesprochen werden.

IV. Fazit

Die Personalleitung muss bei AU-Bescheinigungen wachsam sein. Es muss sichergestellt werden, dass die ärztliche Feststellung auf einer korrekten Faktenanalyse, insbesondere der Tätigkeitsanforderungen am Arbeitsplatz, beruht. Ein klärendes Gespräch oder ein bEM kann dazu beitragen, die Arbeitskraft wiederherzustellen und gleichzeitig Missbrauch vorzubeugen.

Quellenangabe:

RAin i.R. FAinArbR Daniela Range-Ditz, „Die Neuerungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie – Ein Praxisleitfaden“, ArbRB 2025, 326 ff.

$\S 4$ Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AURL).

$\S 5$ Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG).