Online-Krankschreibung ohne Arztgespräch: Beweiswert erschüttert – Kündigung wirksam

Ein Urteil des LAG Hamm bestätigt die fristlose Kündigung eines IT-Consultants. Die Einreichung einer AU ohne ärztlichen Kontakt stellt eine bewusste Täuschung des Arbeitgebers dar.

Die Digitalisierung hat die Krankschreibung vereinfacht, doch ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm (Urteil vom 05.09.2025 – 14 SLa 145/25) zeigt die scharfen Grenzen dieser Praxis auf: Wer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ohne ärztlichen Kontakt einreicht, um Entgeltfortzahlung zu erhalten, täuscht seinen Arbeitgeber bewusst und riskiert die fristlose Kündigung.

Der Fall: Die Sparversion der AU

Ein IT-Consultant wählte bei einem Online-Anbieter die "Sparversion" einer AU, die mit einem umfangreichen Disclaimer versehen war, der vor dem geringeren Beweiswert warnte. Die Bescheinigung wurde von einem im Ausland tätigen "Privatarzt per Telemedizin" ausgestellt und enthielt den Vermerk "arbeitsunfähig aufgrund Fernuntersuchung".

Der Arbeitgeber kündigte dem Mitarbeiter fristlos. Die Klage des Mitarbeiters auf Kündigungsschutz hatte in erster Instanz noch Erfolg, doch das LAG Hamm hob das Urteil auf.

Die LAG-Entscheidung: Bewusste Täuschung und erschütterter Beweiswert

Die 14. Kammer des LAG Hamm sah die fristlose Kündigung als sozial gerechtfertigt an.

  1. Bewusste Täuschung: Der Arbeitnehmer hat "bewusst wahrheitswidrig" suggeriert, er habe für die Krankschreibung Kontakt zu einem Arzt gehabt. Das äußere Erscheinungsbild der Bescheinigung, die dem Vordruck der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ähnelte, verstärkte diesen Eindruck.
  2. Verstoß gegen die AURL: Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie verlangt die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit "auf Grund einer ärztlichen Untersuchung" (sei es persönlich, per Video oder Telefon). Eine AU ohne ärztlichen Kontakt widerspricht dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse.
  3. Erschütterung des Beweiswerts: Wegen des Verstoßes gegen die AURL war der Beweiswert der Online-AU erschüttert. Da der Arbeitnehmer danach nur pauschale Symptome vortrug, konnte er seine tatsächliche Arbeitsunfähigkeit nicht nachweisen.
  4. Schwerwiegender Vertrauensbruch: Die Pflichtverletzung wiege schwer genug, um eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Der Vertrauensbruch, der auf die Erschleichung von Entgeltfortzahlung abzielte, sei unzumutbar.

Konsequenzen für die Praxis

Dieses Urteil gibt Arbeitgebern ein wichtiges Werkzeug an die Hand, um Missbrauch im Zusammenhang mit niedrigschwelligen Krankschreibungen zu bekämpfen.

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  • Prüfung des Beweiswerts: Arbeitgeber sollten bei AUs von Online-Anbietern, insbesondere bei Verdacht auf fehlenden Patientenkontakt, sofort hellhörig werden.
  • Täuschungsabsicht: Das Gericht wertet die Einreichung einer AU, die nicht auf einer ärztlichen Untersuchung basiert, als Täuschung des Arbeitgebers.
  • Anfechtung der AU: Der Arbeitnehmer kann sich nicht darauf berufen, er sei tatsächlich krank gewesen, wenn er die AU auf unzulässigem Wege erworben hat.

Quellenangabe:

LAG Hamm, Urteil vom 05.09.2025, Az.: 14 SLa 145/25.

$\S 4$ und $\S 5$ der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses.

(Redaktion beck-aktuell, tbh, 7. November 2025).