Kündigungsschutz: BVerfG stärkt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bei Einstellungskriterien

Ein Urteil des BVerfG klärt die Einstellungskriterien kirchlicher Arbeitgeber. Das Gericht darf das Verständnis des kirchlichen Ethos durch die Kirche selbst nicht überspannen.

Die Besetzung von Stellen bei kirchlichen Arbeitgebern ist ein fortlaufendes Spannungsfeld zwischen dem religiösen Selbstbestimmungsrecht ($\text{Art. } 4 \text{ GG}$) und dem Diskriminierungsschutz ($\S 9$ Abs. 1 AGG). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem Beschluss vom 29. September 2025 (Az.: 2 BvR 934/19) entschieden, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Grundsätze zur Abwägung der widerstreitenden Interessen falsch angewandt und dadurch die religiöse Autonomie des kirchlichen Arbeitgebers verletzt hat.

I. Der Konflikt: Religiöses Ethos vs. Diskriminierungsschutz

Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) hatte für eine Referentenstelle die Mitgliedschaft in einer ACK-Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag vorausgesetzt. Das BAG urteilte zuvor, das EWDE habe nicht ausreichend dargelegt, warum diese Anforderung für die konkrete Stelle (Projekt zur UN-Antirassismuskonvention) eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung sei.

II. Die BVerfG-Entscheidung: Vertrauen in das kirchliche Ethos

Das BVerfG hob das Urteil des BAG auf und wies die Sache zurück.

  1. Zwei-Stufen-Prüfung: Das BVerfG bestätigte die Anwendung der vom EuGH vorgegebenen Kriterien ($\text{Art. } 4 \text{ Abs. } 2 \text{ RL 2000/78/EG}$), integriert diese jedoch in die deutsche Zweistufenprüfung:
    • Stufe 1 (Plausibilität): Das Ethos der Religionsgemeinschaft als solches ist der Überprüfung unzugänglich. Die staatlichen Gerichte dürfen die Darlegung der Kirche, dass eine Stelle die Kirchenmitgliedschaft erfordert, nur auf Plausibilität, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen – nicht auf theologische Richtigkeit.
    • Stufe 2 (Angemessenheit): Die Abwägung zwischen dem religiösen Selbstbestimmungsrecht und den Arbeitnehmerrechten muss eine praktische Konkordanz herstellen.
  2. Überspannen des Prüfungsmaßstabs: Das BAG hat nach Ansicht des BVerfG Vorgaben zu Lasten des religiösen Selbstbestimmungsrechts überspannt. Das Gericht hatte sein eigenes Verständnis einer glaubwürdigen Vertretung des Ethos an die Stelle des Verständnisses des EWDE gesetzt.

III. Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil stärkt die Autonomie der Kirchen bei der Personalauswahl, macht aber auch die Grenzen der Begründungspflicht deutlich.

  • Gewichtung der Position: Die Anforderungen an die Darlegung steigen, je weiter sich die Aufgaben der Stelle von der Verkündigung oder der Identitätsbildung der Religionsgemeinschaft entfernen.
  • Priorisierung des Ethos: Bei der Besetzung für die religiöse Identität bedeutsamer Positionen (z.B. Leitungsfunktionen, Seelsorge) setzt sich die Forderung der Kirche nach Kirchenmitgliedschaft regelmäßig durch. Je weniger Relevanz die Stelle für das religiöse Ethos hat, desto eher gilt der Diskriminierungsschutz.

Quellenangabe:

BVerfG, Beschluss vom 29.09.2025, Az.: 2 BvR 934/19.

$\S 9$ Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Art. 4 Abs. 1 u. 2, Art. 140 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV).

Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie).