Kündigung wegen Prozessbetrug: Falscher Vertrag entbindet von Abmahnungspflicht
Die Wahrheitspflicht endet nicht am Werkstor; sie gilt auch und gerade in gerichtlichen Auseinandersetzungen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat in einem Urteil vom 13. August 2025 (Az.: 2 SLa 735/24) entschieden, dass der Versuch eines Prozessbetrugs durch die Vorlage eines gefälschten Arbeitsvertrages eine so schwerwiegende Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§241 Abs. 2 BGB) darstellt, dass das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt werden darf. Eine vorherige Abmahnung ist in diesem Fall entbehrlich.
I. Der Fall: Der gefälschte Arbeitsvertrag
Ein Filialleiter klagte gegen seine ordentliche Kündigung und forderte zusätzlich hohe Jahresboni und Gewinnbeteiligungen. Als Beweis legte er ein Dokument mit dem Titel „Arbeitsvertrag vom 15.01.2016“ vor, das entsprechende Anspruchsklauseln enthielt.
- Tatsächliche Situation: Ein von beiden Seiten unterschriebener Vertrag existierte nie. Der Filialleiter forderte zudem eine filialbezogene Gewinnbeteiligung für Jahre, in denen er noch gar nicht Filialleiter war.
- Reaktion des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber sprach umgehend eine zweite, außerordentliche Kündigung aus. Der Vorwurf: bewusster falscher Prozessvortrag und versuchter Prozessbetrug.
II. Die LAG-Entscheidung: Schwere Zerstörung des Vertrauens
Das LAG Niedersachsen hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und gab dem Arbeitgeber in vollem Umfang Recht.
1. Wichtiger Grund für die Kündigung
Das Gericht sah in der Vorlage des gefälschten Dokuments und der damit verbundenen Falschaussage eine schwere Pflichtverletzung.
- Verletzung der Rücksichtnahmepflicht: Die bewusste Täuschung im Gerichtsverfahren, um unberechtigte finanzielle Vorteile zu erlangen, zerstört das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen unwiederbringlich.
- Unzumutbarkeit der Fortsetzung: Unabhängig davon, ob die Täuschung erfolgreich gewesen wäre, war dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar (§626 Abs. 1 BGB).
2. Entbehrlichkeit der Abmahnung
Der Versuch des Prozessbetrugs wurde als derart gravierend eingestuft, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich war. Eine Abmahnung dient der Verhaltenskorrektur, aber ein so massiver Vertrauensbruch kann durch keine Warnung wiederhergestellt werden.
3. Zurechnung des Anwaltsvortrags
Das Gericht stellte klar, dass der Filialleiter für den Vortrag seines Anwalts voll verantwortlich ist. Die prozessualen Handlungen des Bevollmächtigten werden der Partei zugerechnet (§85 ZPO). Da der Kläger die falschen Tatsachenbehauptungen nicht korrigierte, musste er sich diese zurechnen lassen.
III. Checkliste: Die Wahrheitspflicht im Arbeitsgerichtsprozess
Das Urteil bekräftigt die prozessuale Wahrheitspflicht.
- Tatsachen vs. Rechtsmeinung: Unterscheiden Sie strikt. Behauptungen über geschlossene Verträge oder deren Inhalt sind Tatsachen und müssen beweisbar korrekt sein.
- Kein strategisches Taktieren: Strategische Übertreibungen oder das Bluffen mit gefälschten Beweismitteln können als versuchter Prozessbetrug gewertet werden und führen unmittelbar zum Verlust des Arbeitsplatzes.
- Verantwortung für Schriftsätze: Lesen Sie alle Schriftsätze Ihres Anwalts sorgfältig. Korrigieren Sie falsche Tatsachenbehauptungen umgehend.
Quellenangabe:
LAG Niedersachsen, Urteil vom 13.08.2025, Az.: 2 SLa 735/24.
§626 Abs. 1 und 2, §241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
§85 Zivilprozessordnung (ZPO).
