Kündigung wegen Beleidigung: Türkische Redewendung als vulgäre, aber zulässige Kritik

Ein Urteil des LAG Düsseldorf klärt: Eine türkische Redewendung, die als vulgäre Beleidigung verstanden werden kann, ist im Einzelfall als zulässige Kritik an der Schichtleitung zu werten. Die Kündigung war unverhältnismäßig.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat in einem ungewöhnlichen Kündigungsschutzverfahren (Urteil vom 18.11.2025, Az. 3 SLa 699/24) entschieden, dass selbst eine in vulgärer Sprache geäußerte Kritik an der Schichtführung nicht zwingend eine ordentliche Kündigung rechtfertigt. Die Bewertung einer Äußerung im Arbeitsverhältnis muss die genauen Umstände, den Kontext und die tatsächliche Bedeutung von Redewendungen berücksichtigen.

I. Die Aussage und die Deutung

Der klagende Lagerarbeiter, der bereits abgemahnt war, geriet mit seiner neuen Vorgesetzten in Streit. Er äußerte sich daraufhin in türkischer Sprache.

  • Arbeitgeber-Version: Der Arbeitgeber behauptete, der Mitarbeiter habe gesagt: "Du hast die Mutter der Schicht gefickt." Dies wurde als schwerwiegende, persönlich herabwürdigende Beleidigung der Vorgesetzten verstanden.
  • Arbeitnehmer-Version: Der Arbeitnehmer behauptete, er habe sinngemäß sagen wollen: "Du hast die Schichtmutter weinen lassen" – gemeint war die Kritik an dem hohen Druck in der Schicht.

II. Die Entscheidung des LAG: Kritik, nicht Beleidigung

Das LAG Düsseldorf kam nach Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung zu einer nuancierten Bewertung:

  1. Tatsächliche Äußerung: Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der klagende Mann die vulgäre Variante ("Du hast die Mutter der Schicht gefickt") gesagt und gemeint habe.
  2. Kontextuelle Bewertung: Ungeachtet der vulgären Formulierung sei die Äußerung nicht als schwerwiegende, persönlich herabwürdigende Beleidigung gegenüber der Vorgesetzten gemeint gewesen. Das LAG interpretierte die Aussage vielmehr als "in vulgärer Sprache geäußerte Kritik", die sich auf die Art und Weise der Schichtführung als solche bezog.
  3. Unverhältnismäßigkeit der Kündigung: Angesichts der besonderen Umstände einer Konfliktsituation und der Tatsache, dass es sich um eine Kritik an der Sache (der Schichtleitung) handelte, hielt das LAG den Ausspruch der ordentlichen Kündigung im Ergebnis für unverhältnismäßig. Die Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.

III. Fazit für die Arbeitsrechtliche Praxis

Das Urteil unterstreicht die Pflicht der Gerichte zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung – auch bei fremdsprachigen und vulgären Äußerungen.

  • Abwägung im Einzelfall: Auch eine vulgäre Kritik kann im Rahmen der Interessenabwägung (zwischen dem Äußerungsinteresse des Arbeitnehmers und der Pflicht des Arbeitgebers zur Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens) zulässig sein, wenn sie sich gegen die Sache (den Arbeitsablauf) und nicht gegen die Person richtet.
  • Keine pauschale Nichtigkeitsfolge: Selbst eindeutige Vulgärsprache führt nicht zwingend zur Kündigung, wenn die eigentliche Stoßrichtung der Äußerung die Kritik am Vorgesetztenverhalten ist.

Quellenangabe:

LAG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.2025, Az. 3 SLa 699/24.