Kündigung in der Probezeit: Kein Präventionsverfahren für Schwerbehinderte nötig

Muss bei Schwerbehinderten schon in der Probezeit ein Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX durchgeführt werden? Das BAG sorgt für Klarheit und verneint eine Pflicht vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit.

Schwerbehinderung und Probezeit: Das BAG zur Pflicht des Präventionsverfahrens

Die Kündigung schwerbehinderter Menschen unterliegt in Deutschland strengen Regeln. Doch wie verhält es sich, wenn das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden hat? In einer richtungsweisenden Entscheidung vom 03.04.2025 (Az. 2 AZR 178/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass Arbeitgeber in der Probezeit nicht dazu verpflichtet sind, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX einzuleiten.

Der Fall: Kündigung wegen fachlicher UngeeignetheitEin schwerbehinderter Arbeitnehmer wurde bereits nach drei Monaten seiner Tätigkeit als Leiter der Haus- und Betriebstechnik entlassen. Der Arbeitgeber begründete dies mit mangelnder fachlicher Eignung. Der Kläger wehrte sich mit dem Argument, die Kündigung sei unwirksam, da kein Präventionsverfahren durchgeführt und kein behinderungsgerechter Arbeitsplatz angeboten worden sei. Er sah darin eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Kein Präventionsverfahren vor Ablauf der WartezeitDas BAG wies die Revision des Klägers zurück. Die Richter stellten klar, dass die Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX erst dann greift, wenn auch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar ist. Dies setzt in der Regel eine Betriebszugehörigkeit von mehr als sechs Monaten voraus.

Der 2. Senat begründete dies vor allem mit dem Wortlaut des Gesetzes. Da die Formulierungen im SGB IX direkt an die Begriffe des Kündigungsschutzgesetzes (personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Gründe) anknüpfen, sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber das Verfahren auch nur in diesem Kontext verpflichtend sehen wollte. Ziel des Präventionsverfahrens sei es, Kündigungen im Sinne des KSchG vorzubeugen. In der Wartezeit der ersten sechs Monate bedarf eine Kündigung jedoch noch keiner sozialen Rechtfertigung nach diesen Kriterien.

Fehlendes Verfahren führt nicht zur UnwirksamkeitEin weiterer zentraler Punkt des Urteils ist die Rechtsfolge: Selbst wenn ein Präventionsverfahren theoretisch vorgesehen wäre, führt dessen Unterlassen laut BAG nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung. Im Gegensatz zur unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung hat der Gesetzgeber für das Präventionsverfahren keine explizite Unwirksamkeitsfolge im Gesetz verankert.

Unionsrecht und DiskriminierungsschutzDas BAG hält diese Auslegung für konform mit europäischem Recht und der UN-Behindertenrechtskonvention. Das Präventionsverfahren an sich sei keine „angemessene Vorkehrung“ im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG, sondern lediglich ein Suchprozess, um solche Vorkehrungen zu identifizieren. Da der Arbeitnehmer zudem in Kenntnis seiner Behinderung eingestellt wurde und keine Anhaltspunkte für eine Benachteiligung vorlagen, schied auch ein Verstoß gegen das AGG aus.

Fazit für die PraxisFür Arbeitgeber bedeutet das Urteil eine erhebliche Rechtssicherheit in der Personalauswahl während der ersten sechs Monate. Es bestätigt die bisherige Linie des BAG gegen anderslautende Tendenzen aus der Instanzrechtsprechung. Dennoch sollten Arbeitgeber darauf achten, dass Kündigungen in der Probezeit nicht gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot verstoßen, auch wenn formelle Verfahren wie das Präventionsverfahren noch nicht verpflichtend sind.

Quellenangabe

Rechtsquellen: § 167 Abs. 1 SGB IX (Präventionsverfahren); § 1 Abs. 2 KSchG (Kündigungsschutz); §§ 1, 7 AGG (Diskriminierungsverbot).

Urteil: Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 178/24.

Vorinstanz: LAG Köln, Urteil vom 14.09.2023 – 8 Sa 178/23 (aufgehoben).

Redaktionelle Referenz: beck-aktuell, Redaktion (rw), Nachricht vom 28. Juli 2025.