Einigungsstelle: Spruch ist unwirksam bei unvollständiger Protokollierung
Der Spruch einer Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und hat die Wirkung einer Betriebsvereinbarung. Für seine Wirksamkeit sind die formalen Anforderungen an die Dokumentation und Zustellung zwingend. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Beschluss vom 20. Mai 2025 (Az.: 1 ABR 11/24) entschieden, dass ein Spruch wirkungslos ist, wenn er den Parteien inhaltlich unvollständig zugeleitet wird.
Der Fall: Vergessene Kostenstelle im Protokoll
Im Zentrum des Streits stand die Einführung eines neuen Entgeltsystems (Zeitentgelt statt Leistungsentgelt). Die Einigungsstelle fasste einen Spruch, der die Kostenstellen, in denen das neue System gelten sollte, auflistete. Bei der Zustellung des Spruchs an die Parteien fehlte eine Kostenstelle (1147) im Dokument. Der Vorsitzende korrigierte den Fehler nachträglich, nachdem der Arbeitgeber ihn darauf hingewiesen hatte.
Der Betriebsrat focht den Spruch an, da die korrigierte Fassung nicht mehr dem ursprünglichen Abstimmungsergebnis entsprach.
Die BAG-Entscheidung: Keine Korrektur nach Beendigung des Verfahrens
Das BAG gab dem Betriebsrat Recht und erklärte den Spruch für unwirksam.
- Zustellung beendet das Verfahren: Mit der Zustellung des Spruchs an die Parteien ist das Verfahren der Einigungsstelle beendet. Eine nachträgliche Korrektur durch den Vorsitzenden ist unzulässig, da das BetrVG einen solchen Korrekturmechanismus nicht vorsieht.
- Unwirksamkeit des Spruchs: Der Spruch ist nach $\S 76$ Abs. 3 Satz 4 BetrVG unwirksam, weil die zugestellte Fassung nicht umfassend das Ergebnis des Abstimmungsprozesses wiedergab.
- Harte Linie bei Formalien: Selbst bei offensichtlichen Unrichtigkeiten kann eine Korrektur nur durch die vollständig besetzte Einigungsstelle erfolgen, nicht durch den Vorsitzenden allein.
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung unterstreicht die zwingende Notwendigkeit formaler Präzision im Einigungsstellenverfahren.
- Hohes Haftungsrisiko für den Vorsitzenden: Fehler bei der Niederschrift und Zustellung führen zur Unwirksamkeit des Spruchs, was den Parteien (und dem Vorsitzenden) erhebliche Folgekosten auferlegen kann.
- Isolierte Anfechtbarkeit: Das BAG bestätigte, dass die isolierte Anfechtung eines Teils des Spruchs zulässig ist, wenn die Teile separate Sachverhalte regeln.
- Prüfung des Ergebnisses, nicht des Weges: Das Gericht bestätigte seine Rechtsprechung: Im Anfechtungsprozess wird primär das Ergebnis des Spruchs auf Ermessensfehler geprüft, nicht die Herleitung (mangelnde Sachverhaltsermittlung).
Quellenangabe:
BAG, Beschluss vom 20.05.2025, Az.: 1 ABR 11/24 (ArbRB 2025, 340).
$\S 76$ Abs. 3 Satz 4, $\S 87$ Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
(Vorinstanz: LAG Köln – 9 TaBV 42/23).
