Diskriminierungsschutz: EuGH stärkt Rechte pflegender Eltern behinderter Kinder
Das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung schützt nicht nur die Person mit der Behinderung selbst, sondern auch deren pflegende Angehörige. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil vom 11. September 2025 (Az.: C-38/24) entschieden, dass mittelbare Diskriminierung auch Arbeitnehmer erfasst, die wegen der Unterstützung ihres behinderten Kindes benachteiligt werden.
I. Die Erweiterung des Diskriminierungsschutzes
Das EuGH-Urteil basiert auf der Richtlinie 2000/78/EG, die jede Form der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf bekämpfen soll. Der EuGH bestätigte und erweiterte dabei die Grundsätze des sogenannten Coleman-Urteils (2008).
- Verbot der mittelbaren Mitdiskriminierung: Der Gleichbehandlungsgrundsatz beschränkt sich nicht auf Personen, die selbst behindert sind. Eine Diskriminierung, die auf der Behinderung eines Kindes basiert und dessen Eltern betrifft, ist ebenfalls untersagt. Die Auslegung erfolgt im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh).
- Betreuungspersonen sind geschützt: Die Klägerin, die U-Bahn-Stationsaufsicht, betreute ihren minderjährigen, schwerbehinderten Sohn, der an einem festen Behandlungsprogramm teilnehmen musste. Ihre Anträge auf feste Arbeitszeiten wurden abgelehnt. Das EuGH sah darin eine mögliche mittelbare Diskriminierung.
II. Die Pflicht des Arbeitgebers zu angemessenen Vorkehrungen
Das Urteil verpflichtet Arbeitgeber, aktiv zu handeln, um eine Benachteiligung zu verhindern.
- Angemessene Vorkehrungen: Arbeitgeber sind verpflichtet, angemessene Vorkehrungen i.S.v. $\text{Art. } 5 \text{ RL 2000/78/EG}$ zu treffen. Solche Vorkehrungen können Anpassungen des Arbeitsumfelds umfassen, wie die Zuweisung eines Arbeitsplatzes mit festen Arbeitszeiten oder eine Reduzierung der Arbeitszeit.
- Grenze der Unverhältnismäßigkeit: Die Pflicht gilt, sofern die Maßnahmen den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belasten. Bei der Prüfung der Unverhältnismäßigkeit müssen Faktoren wie die finanziellen Aufwendungen, die Unternehmensgröße und verfügbare öffentliche Mittel berücksichtigt werden.
III. Konsequenzen für die Praxis
Das Urteil stärkt die Rechte pflegender Angehöriger erheblich und hat weitreichende Folgen für die Gestaltung von Arbeitsplätzen.
- Substantiierte Ablehnung: Arbeitgeber müssen künftig Anfragen pflegender Angehöriger nach Flexibilität sehr sorgfältig prüfen und dokumentieren. Ablehnungen müssen eine substantiierte Begründung zur unverhältnismäßigen Belastung enthalten.
- Erweiterung des Diskriminierungsschutzes: Der Begriff der Mitdiskriminierung rückt weiter in den Fokus und könnte auf andere Diskriminierungsmerkmale ausgeweitet werden.
Quellenangabe:
EuGH, Urteil vom 11.09.2025, Az.: C-38/24.
Richtlinie (RL) 2000/78/EG.
