Betriebsratswahl: Anfechtungsrisiko bei dezentralen Betriebsstrukturen
Die Festlegung der betriebsratsfähigen Einheiten in Unternehmen mit mehreren Standorten ist komplex und fehleranfällig. Die Verkennung des Betriebsbegriffs kann zur Anfechtung der Betriebsratswahl führen. Um im Wettbewerb bestehen zu können, müssen Einstellungs- und Versetzungsprozesse reibungslos verlaufen, was die Notwendigkeit einer korrekten Betriebsabgrenzung unterstreicht.
I. Der Betriebsbegriff: Wann ist eine Einheit selbstständig?
Ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ($\S 1$ BetrVG) ist eine organisatorische Einheit, die einen arbeitstechnischen Zweck verfolgt und von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die Abgrenzung zum Betriebsteil ist dabei entscheidend:
- Betrieb: Die Leitungsmacht übt sämtliche wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten aus.
- Betriebsteil: Ist auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtet und organisatorisch abgrenzbar, weist aber nur eine geringere Leitungsmacht auf.
II. Der qualifizierte Betriebsteil: Eigene Wahlberechtigung
Zu einem qualifizierten Betriebsteil ($\S 4$ Abs. 1 Satz 1 BetrVG) wird eine Einheit erst, wenn sie selbst die Voraussetzungen für eine Betriebsratswahl erfüllt und zusätzlich:
- Räumlich weit entfernt ist: Hier zählt nicht nur die Entfernung in Kilometern, sondern die Erreichbarkeit des Hauptbetriebs. Das BAG bejahte dies schon bei 11 Kilometern, wenn die Fahrzeit mit dem ÖPNV 90 Minuten beträgt.
- Eigenständig in Aufgabenbereich und Organisation ist: Verfolgt der Betriebsteil einen vom Hauptbetrieb abweichenden, gesonderten arbeitstechnischen Zweck, kann eine Eigenständigkeit vorliegen.
III. Das Anfechtungsrisiko und die Fristen
Die Verkennung des Betriebsbegriffs berechtigt zur Anfechtung der Wahl.
- Anfechtungsfrist: Die Anfechtung muss innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht erfolgen ($\S 19$ Abs. 1 BetrVG).
- Ausnahmen für Arbeitgeber: Die Anfechtung ist für den Arbeitgeber ausgeschlossen, wenn die Unrichtigkeit der Wählerliste auf seinen eigenen Angaben beruht ($\S 19$ Abs. 3 Satz 4 BetrVG). Dieses Dilemma wird in der Rechtsprechung diskutiert.
IV. Klärung des Betriebsbegriffs durch das Verfahren nach $\S 18$ Abs. 2 BetrVG
Angesichts des hohen Anfechtungsrisikos empfiehlt es sich, Unklarheiten zur Betriebsabgrenzung frühzeitig zu klären.
- Rechtssicherheit: Arbeitgeber und Betriebsrat können ein Verfahren nach $\S 18$ Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht anhängig machen, um die Frage der Betriebsabgrenzung rechtsverbindlich klären zu lassen.
- Dauerhafte Klarheit: Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist bindend, bis sich die tatsächlichen Voraussetzungen ändern.
Quellenangabe:
Ebba Herfs-Röttgen, „High risk für die Betriebsratswahlen bei dezentralen Betriebsstrukturen“, ArbRB 2025, 347 ff.
$\S 1, \S 4, \S 19$ Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
$\S 6$ Abs. 1 Satz 2 Wahlordnung-BetrVG (WO).
