Arbeitnehmerhaftung: BGH lehnt starre Haftungsobergrenze bei grober Fahrlässigkeit ab

Ein Urteil des BAG klärt: Es gibt keine starre Haftungsobergrenze von drei Bruttomonatsgehältern bei grober Fahrlässigkeit. Die Haftung muss im Einzelfall abgewogen werden, um die Existenzsicherung zu gewährleisten.

Die Haftung eines Arbeitnehmers für Schäden, die er im Rahmen seiner Tätigkeit verursacht, folgt den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung (vom Großen Senat des BAG entwickelt). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 15. November 2012 (Az.: 8 AZR 705/11) klargestellt, dass es keine feste, vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Haftungsobergrenze (z.B. auf drei Bruttomonatsgehälter) gibt, selbst wenn ein deutliches Missverhältnis zwischen Gehalt und Schadensrisiko besteht.

I. Der Fall: Trunkenheitsfahrt als grobe Fahrlässigkeit

Ein Lkw-Fahrer (Beklagter) verursachte mit einem Firmen-Lkw einen Unfall. Bei ihm wurde eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,94 Promille festgestellt. Der Arbeitgeber (Klägerin) verlangte Schadensersatz in Höhe von über 17.500 Euro.

  • Grobe Fahrlässigkeit: Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hatte grobe Fahrlässigkeit bejaht, da der Beklagte als Berufskraftfahrer bei trockener, gerader Straße infolge seiner Alkoholisierung von der Fahrbahn abgekommen war (Ausfallerscheinungen trotz BAC unter 1,1 Promille).

II. Die BGH-Entscheidung: Keine starre Höchstgrenze

Das BAG hob das Urteil des LAG auf, weil dieses rechtsfehlerhaft eine starre Haftungsobergrenze von drei Bruttomonatsgehältern angenommen hatte.

1. Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung

Das BAG hält an seinen Grundsätzen fest:

  • Vorsatz: Volle Haftung.
  • Leichteste Fahrlässigkeit: Keine Haftung.
  • Mittlere Fahrlässigkeit: Schadensteilung (Quotelung).
  • Grobe Fahrlässigkeit: Volle Haftung, es sei denn, eine Abwägung aller Umstände führt zu einer Haftungserleichterung.

2. Ablehnung der starren Grenze

Eine summenmäßige Begrenzung (z.B. auf drei Monatsgehälter) lehnt das BAG ab, da dies dem Gesetzgeber vorbehalten ist und der Rechtsgedanke des §254 BGB (Mitverschulden) eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfordert.

  • Abwägungskriterien: Berücksichtigt werden müssen die Höhe des Verdienstes, das Schadensrisiko, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und die Gefahr einer existenzbedrohenden Haftung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG).
  • Richterlicher Spielraum: Dem Tatrichter steht ein Spielraum zu, um im Einzelfall eine Haftungserleichterung anzunehmen. Ein Haftungsumfang von 3,5 bis sechs Bruttomonatsgehältern wurde in der Vergangenheit bereits bestätigt.

III. Weitere Klarstellungen

  • Kein Abzug wegen fehlender Kaskoversicherung: Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, für das Firmenfahrzeug eine Vollkaskoversicherung abzuschließen. Der fehlende Versicherungsschutz führt nicht zu einer Reduzierung der Haftung des Arbeitnehmers.
  • Trennungsprinzip: Die Haftung richtet sich nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts und nicht nach den versicherungsrechtlichen Quoten des §81 Abs. 2 VVG.

IV. Ergebnis

Der Rechtsstreit wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, das die umfassende Abwägung aller Umstände neu vornehmen muss, ohne sich an eine starre Haftungsobergrenze gebunden zu sehen.

Quellenangabe:

BAG, Urteil vom 15.11.2012, Az.: 8 AZR 705/11.

§§254, 611 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Grundsatz der Arbeitnehmerhaftung (BAG, Großer Senat, 27.09.1994, GS 1/89 (A)).