Annahmeverzugslohn: BAG-Senate streiten über Abdingbarkeit durch Rechtswahl

Eine Divergenzanfrage an den Großen Senat des BAG klärt die entscheidende Frage: Kann der Anspruch auf Annahmeverzugslohn durch die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung im Voraus ausgeschlossen werden?

Der Annahmeverzugslohn ($\S 615$ Satz 1 BGB) ist der finanzielle Schutzschild des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess. Stellt sich eine Kündigung als unwirksam heraus, muss der Arbeitgeber den Lohn für die Zeit nachzahlen, in der er den Arbeitnehmer nicht beschäftigt hat.

Aktuell streiten sich zwei Senate des Bundesarbeitsgerichts (BAG) über die Frage, ob dieser Anspruch im Voraus abbedungen werden kann, insbesondere durch die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung.

Der Fall: US-Recht und die Kündigung

Eine deutsche Flugbegleiterin mit Heimatbasis Frankfurt am Main schloss einen Arbeitsvertrag mit einem US-Luftfahrtunternehmen, in dem die Geltung des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika vereinbart wurde. Nachdem die Arbeitgeberin unwirksam kündigte, forderte die Klägerin Annahmeverzugslohn.

Der 2. Senat des BAG vertritt nun die Auffassung:

  • Zwingende Regelung: $\S 615$ Satz 1 BGB ist eine zwingende Regelung des deutschen Arbeitsrechts.
  • Kein Abbedingen im Voraus: Annahmeverzugsansprüche können nicht im Voraus abbedungen werden.
  • Ausschluss der Rechtswahl: Dies gilt erst recht für die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung.

Der Konflikt: Zwingendes deutsches Recht vs. Vertragliche Freiheit

Der 2. Senat weicht mit seiner Ansicht in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der bisherigen Rechtsprechung des 5. Senats ab. Gemäß $\S 45$ Abs. 3 Satz 1 ArbGG muss der 2. Senat daher beim 5. Senat anfragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.

Der Kern des Konflikts liegt in der Auslegung des internationalen Privatrechts (IPR):

  • Ist $\S 615$ BGB eine sog. Eingriffsnorm? Das IPR unterscheidet, ob eine deutsche Norm so zwingend ist, dass sie auch eine vereinbarte ausländische Rechtswahl verdrängt.
  • Der 2. Senat neigt dazu, $\S 615$ BGB als einen Kernbestandteil des Arbeitnehmerschutzes zu sehen, der durch Rechtswahl nicht ausgehöhlt werden darf.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung, die nun vom 5. Senat beantwortet werden muss und gegebenenfalls vor dem Großen Senat des BAG landet, ist für die arbeitsrechtliche Praxis enorm spannend:

  • Gefahr für internationale Verträge: Wenn der 2. Senat sich durchsetzt, sind Klauseln in internationalen Arbeitsverträgen, die Annahmeverzugsansprüche ausschließen, hinfällig, sobald das deutsche Arbeitsrecht anwendbar ist (z.B. durch eine Betriebsstätte in Deutschland).
  • Risiko in Kündigungsschutzprozessen: Die Höhe des Annahmeverzugslohns kann massive Auswirkungen auf den Inhalt von Vergleichen in Kündigungsschutzprozessen haben.

Die juristische Welt wartet nun auf die Stellungnahme des 5. Senats.

Quellenangabe:

BAG, Beschluss vom 18.06.2025, Az.: 2 AZR 91/24 (A) (ArbRB 2025, 335).

$\S 615$ Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

$\S 45$ Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG).