AGB-Kontrolle: Tarifvertrag-Verweisung muss vollständig sein
Wenn Arbeitgeber Tarifverträge in die Arbeitsverträge nicht tarifgebundener Mitarbeiter übernehmen (Inbezugnahme), genießen diese Tarifnormen normalerweise ein Kontrollprivileg und unterliegen nicht der strengen AGB-Kontrolle. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Urteil vom 2. Juli 2025 (Az.: 10 AZR 162/24) entschieden, dass dieses Privileg nur bei vollständiger Inbezugnahme des Tarifvertrags gilt.
Der Fall: Abweichende Nebentätigkeitsklausel
Ein Arbeitsvertrag nahm den DRK-Reformtarifvertrag (RTV) in Bezug, enthielt aber teilweise abweichende Regelungen (z.B. zur Nebentätigkeit). Der Kläger schied kurz nach Erhalt einer Jahressonderzahlung aus und forderte sein gekürztes Entgelt zurück. Die Beklagte hatte die Sonderzahlung mit einem Rückzahlungsanspruch verrechnet ($\S 23$ Abs. 5 RTV). Der Kläger argumentierte, die tarifliche Rückzahlungsklausel sei eine unwirksame AGB, da das Kontrollprivileg entfalle.
Die BAG-Entscheidung: Das Kontrollprivileg setzt vollständige Verweisung voraus
Das BAG gab dem Kläger Recht.
- Kontrollprivileg entfällt: Eine Inhaltskontrolle nach $\S\S 305$ ff. BGB ist nicht ausgeschlossen, da der Arbeitsvertrag den Tarifvertrag nicht vollständig in Bezug genommen hatte.
- Unvollständige Inbezugnahme: Das Kontrollprivileg ($\S 310$ Abs. 4 Satz 3 BGB) setzt eine vollständige Inbezugnahme des einschlägigen Tarifvertrags voraus. Enthält der Arbeitsvertrag auch nur eine einzelne, abweichende Regelung, gilt der Tarifvertrag als nicht mehr umfassend in Bezug genommen.
- Unwirksamkeit der Tarifklausel: Die Rückzahlungsklausel zur Jahressonderzahlung hielt der AGB-Kontrolle nicht stand: Sie war unangemessen benachteiligend, da sie im Widerspruch zum Grundgedanken des $\S 611a$ Abs. 2 BGB (Entgelt als Gegenleistung für Arbeit) stand und die Berufsfreiheit unzulässig verkürzte.
Konsequenzen für die Praxis
Dieses Urteil ist ein entscheidender Hinweis für Arbeitgeber, die Arbeitsverträge mit Bezug auf Tarifverträge gestalten.
- Vollständigkeit ist Pflicht: Um das Kontrollprivileg zu sichern, darf der Arbeitsvertrag keine einzige Abweichung von den tariflichen Regelungen enthalten.
- Risikoabwägung: Jede abweichende oder ergänzende Regelung im Arbeitsvertrag führt dazu, dass die gesamte Verweisung und die in Bezug genommenen Tarifnormen als AGB behandelt und der strengen Inhaltskontrolle unterzogen werden.
- Beraterhinweis: Arbeitsvertragliche Regelungen dürfen nur nicht tariflich geregelte Gegenstände betreffen oder ausschließlich zugunsten des Arbeitnehmers von den tariflichen Bestimmungen abweichen.
Quellenangabe:
BAG, Urteil vom 02.07.2025, Az.: 10 AZR 162/24 (ArbRB 2025, 336).
$\S 310$ Abs. 4 Satz 3, $\S 307$ Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
(Vorinstanz: Hessisches LAG – 8 Sa 196/23).
